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Motocross Enduro Ausgabe 07/2019

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INTERVIEW: JEREMY SEEWER

INTERVIEW: JEREMY SEEWER Jeder ist vor dem Streckengang anders, manche reden, manche nicht, und beim Tor ist viel los … Ich bin relativ entspannt, aber auch fokussiert. Ich benehme mich nicht komisch oder fange an, Witze zu reißen, aber ich kann noch mit anderen Leuten reden. Es ist komisch, weil man in dieser Zeit nicht zu viel Interaktion mit den anderen will. Der Moment vor der Einführungsrunde ist, denke ich, der entspannteste und Dinge wie TV-Interviews sind ein Teil davon und absolut in Ordnung. Man könnte auch mit einem Freund oder einem anderen Fahrer sprechen, früher hat man noch den Boden in seinem Slot am Tor vorbereitet, mit dem Metallboden ist das heute aber natürlich nicht mehr nötig. Im Tor selbst muss man ruhig bleiben, vielleicht muss man warten … Wenn man in der Qualifikation gut war und einer der ersten Fahrer im Slot ist, muss man abwarten, bis der Rest in Position ist. Währenddessen geht man die wichtigsten Stellen und seine Prioritäten noch einmal durch, das können drei bis vier schwierige Streckenabschnitte sein. Man geht in seinem Kopf noch einmal über die Strecke und denkt an die Linie, auf der man fahren möchte, um so vorbereitet wie möglich zu sein. Ich habe angefangen, einen kleinen Klotz für meinen Fuß zu benutzen. Erst hieß es, dass das auf dem Metallboden nicht erlaubt wäre, aber ich habe mich für die Kleinen unter uns eingesetzt! Als noch Erde am Tor lag, konnten wir uns damit eine kleine Rampe oder so etwas bauen. Aber wir brauchten etwas anderes. Man sieht Fahrer, die sich bewegen und zittern, ihre Handschuhe überprüfen und noch viele andere kleine Angewohnheiten. Ich dehne mich immer auf dieselbe Art und Weise. Ich weiß nicht wieso! Es ist einfach ein Ritual. Irgendwie hilft es, dem Körper zu signalisieren, dass es mal wieder soweit ist … Wenn man die gleichen Bewegungen macht, dann macht es im Körper Klick und er bereitet sich auf das Rennen vor. Auch wenn ich immer das Gleiche mache, werde ich dabei nicht zu verrückt oder ausfallend. Ich lasse das Motorrad nicht zu oft aufheulen und bin nicht zu nervös. Ich blende alles aus, was ich mir vielleicht denken könnte, um so schnell wie möglich aus dem Tor rauszukommen. Was beim neuen Motorrad los ist? Ein paar Knöpfe … Der Startknopf an der vorderen Gabel, der die Federung komprimiert und das Motorrad bis zum Start festsetzt, ist ziemlich wichtig, vor allem bei dem Metallboden. Wir gehen wegen des vielen Grips mit den Motorrädern immer tiefer. Wir haben auch einen anderen Knopf am Lenker, der die Elektronik speziell für den Start auslegt, eine andere Einstellung für den Motor sozusagen. Ehrlich gesagt, kenne ich mich mit den Details nicht aus, aber ich weiß, dass die Stromversorgung für den perfekten Start umverteilt wird. Wir haben ein Licht vorne am Motorrad, das mir zeigt, wie hoch ich drehe, aber für gewöhnlich gebe ich nach Gefühl noch etwas mehr Gas. Wir machen so viele Teststarts, dass 200 bis 300 Umdrehungen pro Minute mehr oder weniger das Gleiche sind. Es kann alles von der Reaktionszeit abhängen … Der Unterschied zwischen dem fallenden Start-Tor und so etwas wie einer Ampel ist, dass man weiß, dass das Tor immer zwischen fünf und sechs Sekunden fallen wird. Es werden nicht acht oder zehn sein. Wenn man die 15-Sekunden-Tafel sieht, bin ich noch entspannt. Wir machen uns bereit. Ich zähle bis drei und bringe meinen Körper in Startposition. Die ein oder zwei verbleibenden Sekunden sind die Wichtigen, man muss sich auf seine Reaktion vorbereiten: Wenn sich das Tor bewegt, muss man raus. Ich bin immer im zweiten Gang und was danach passiert, kommt immer auf den Boden an, auf dem man landet. Im Sand dreht immer das Hin- 50 MOTOCROSS ENDURO

terrad durch, also muss man das Gewicht für mehr Druck nach hinten verlagern und schnell schalten. Auf Strecken wie in Matterley Basin hat man einen Start, der bergab geht und der Boden ist fast schon klebrig, wenn man sich dort also nach hinten lehnt, macht man nur einen Wheelie oder man muss die Kupplung ziehen, wobei man ziemlich an Momentum verliert. Es ist eine Sache des Instinkts, die sich von GP zu GP ändert, weil man immer andere Voraussetzungen hat. Sogar die Tore sind manchmal anders. Vielleicht gibt es eine kleine Lücke zwischen dem Metall und der Erde, oder einen kleinen Buckel, der einen kurz hüpfen lässt. Es geht immer um die Reaktion und um Körperbeherrschung. Man kann sich auf jede Situation vorbereiten, aber der echte Start, bei dem es um etwas geht, dreht sich um die Bewegungen und das Gefühl eines kurzen Augenblicks. Ob wir üben, üben, üben …? Das kommt darauf an. Wenn man Probleme mit dem Start hat, dann jede Menge, aber wenn man weiß, dass der Start gut ist und man mental stark ist, dann braucht man nicht viele Trainingsstarts. Ich weiß noch, dass ich in Sardinien in der Testphase vor der Saison in etwa 50-mal in einer Woche gestartet bin – das ist eine Menge. Aber zwischen dem Grand Prix in Argentinien und dem britischen GP, wo ich den Holeshot durchgezogen habe, habe ich recht wenig für den Start trainiert. Wir wissen nicht sofort, ob wir den Holeshot geschafft haben … Ich denke, dass man etwas warten muss, um zu sehen, ob man einen guten Start geschafft hat, es gibt einfach zu viele Faktoren, die darüber entscheiden, ob man gut oder schlecht war. Der Sprung aus dem Tor ist wohl der wichtigste und man erkennt schnell, ob der gut war. Manchmal bekommt man eine Vorahnung, dass es ein Holeshot wird. Die Realität ist aber, dass wir wegen dem Metallboden nach ein paar Metern alle auf einem Level in einer Reihe sind. Den Unterschied macht also die Beschleunigung, aber wie, ist schwer zu sagen! Die Position, Balance und Bewegungen, das ist alles Instinkt. Ich musste für die 450er ein wenig meinen Fahrstil anpassen, weil ich aus der MX2 komme und man da weniger Power hat. Ist es gefährlich? Das kann es sein, vor allem in der MXGP-Klasse, bei der wir alle wissen, dass man in der ersten Kurve ein Rennen gewinnen oder verlieren kann, weil es auf manchen Strecken schwer ist zu überholen. Man kassiert und verteilt viele Ellenbögen und es kann gefährlich sein, in die erste Kurve zu rasen, wenn 20 Fahrer an einem Punkt aufeinandertreffen könnten. Das ist das Ding, du weißt, dass es riskant ist, aber du weißt auch, dass es ein essenzieller Teil des Sports ist. Und deswegen muss man alles geben, um als Erster dort zu sein. Wenn man nicht unter den ersten zehn ist, sieht man oft ziemlich unschöne Dinge und Vorfälle, die außer Kontrolle sind. Man muss schlau sein und seine Umgebung lesen, weil viele Dinge auf einmal passieren können. Und das alles bei hohem Tempo. Ein Start ist aufregend, aber … Meiner Meinung nach ist ein großer Sprung oder eine Stelle, an der man einen großen Whip raushauen kann, eines der besten Gefühle beim Motocross. Das Hochgefühl nach einem Start bekommt man, wenn man ihn sauber durchgezogen hat und das fließt dann in ein gutes Ergebnis mit ein. In diesem einen Moment hat man eine Menge Druck. Wenn man den bewältigt, dann fühlt man sich befreit und schafft es so zur ersten Kurve. Wenn man den Start aber vergeigt, dann ist man tief im Fahrergewirr. Das ist dann sehr frustrierend und man weiß, dass man viel Arbeit vor sich hat. • Text: Monster Energy/Bastian Radloff • Fotos: Monster Energy/Ray Archer MOTOCROSS ENDURO 51

Motocross Enduro / Ausgaben 2014-2022

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